Matthäus 7,1
"Richtet
nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!"
Ist das
eine Anweisung Jesu, keine Missstände mehr anprangern zu dürfen?
Sicher nicht,
denn wenn wir es so radikal auslegen würden, dürfte sich kein Christ mehr ein
Urteil über das Tun und Lassen eines anderen Menschen erlauben können, sondern müssten
diese Beurteilung allein Gott überlassen.
Aber dem stehen andere Stellen der
Heiligen Schrift entgegen, z.B. die Weisung Jesu: „Wenn dein Bruder sündigt,
dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht“ (Mt 18,15) oder die
Verheißung am Ende des
Jakobusbriefes: „Wer einen Sünder, der auf Irrwegen ist, zur Umkehr bewegt, der
rettet ihn vor dem Tod und deckt viele Sünden zu“ (Jak 5,20).
Gott gibt
uns seine Gebote und damit den Auftrag, diese Gebote in unserem eigenen Leben
zu befolgen.
Sie dienen also zunächst als Richtschnur für unser eigenes Leben,
nicht als Maßstab, den wir an das Leben der anderen anlegen dürfen.
Dennoch
bleibt es eine Aufgabe für jeden, der Verantwortung für andere Menschen
übernommen hat, wahrzunehmen, wo gegen Gottes Gebot gehandelt wird und gegebenenfalls
auch Sanktionen auszusprechen.
Aber es ist etwas anderes, die Sache zu
beurteilen oder die Person.
Augustinus formuliert: „Die Sünde hassen und den
Sünder lieben.“
Einen anderen Menschen zu beurteilen steht uns nicht zu, nicht
einmal uns selbst (vgl. 1 Kor 4,3), denn wir sehen immer nur die Außenseite der
Dinge und haben niemals das Wissen um alle Faktoren, die bei einer solchen Beurteilung
zu berücksichtigen sind. Als Christen stehen wir in der Nachfolge Jesu, der von
sich sagt: „Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu
retten“ (Joh 12,47). Dennoch wollen wir immer wieder richten. In Gen 3,5 wird
als die Grundversuchung des Menschen beschrieben, dass er wie Gott sein und gut
und böse erkennen will. Diese Ursünde wird in jedem Akt des Richtens neu
vollzogen. Das geht so weit, dass wir nicht nur einander richten, auch nicht
nur uns selbst, sondern uns oft sogar zum Richter über Gott aufspielen, indem
wir ihm die nach unserer Ansicht bestehenden Mängel seiner Schöpfung vorwerfen.
(Äbtissin
Christiana Reemts, Mariendonk)
Labels: Gebet-Betrachtung-Gedanke, Hl.Schrift, Mariendonk
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