Sonntag, 12. Februar 2012

Erster Erzählung des Pilgers, 23

Treu bleiben

So ziehe ich nun meiner Wege und verrichte unablässig das Jesusgebet, das mir wertvoller und süßer ist als alles andere in der Welt. Mitunter gehe ich meine siebzig Werst am Tage, manchmal auch mehr, und fühle gar nicht, dass ich gehe; ich fühle aber nur, dass ich das Gebet verrichte. Fährt mir eisige Kälte durch die Glieder, so beginne ich das Gebet angespannter herzusagen und bin bald vollkommen erwärmt. Martert mich der Hunger, so rufe ich den Namen Jesu Christi häufiger an und vergesse, dass ich essen wollte. Bin ich krank oder fühle ich ein Reißen im Rücken und in den Beinen, so beginne ich auf das Gebet hinzuhorchen und spüre den Schmerz nicht mehr. Wenn mich jemand beleidigt, so denke ich nur daran, wie süß das Jesusgebet ist; sogleich ist die Kränkung und aller Zorn geschwunden, und ich habe alles vergessen. Ich bin gleichsam närrisch geworden; um nichts sorge ich mich mehr; nichts gibt es, das mich fesselt; nichts Eitles schaue ich an; wenn ich nur immer allein bin in der Einsamkeit! Der Gewohnheit getreu, drängt es mich nur zu dem einen: unablässig das Gebet zu verrichten, und immer, wenn ich mich damit abgebe, werde ich sehr froh. Gott weiß, was mit mir vorgeht. Gewiss ist dies alles sinnlich oder, wie der verstorbene Starez sagte, natürlich und künstlich, von der Gewohnheit erzeugt; doch wage ich es nicht, mich bald ans Erlernen und die Aneignung des inneren Gebets im Herzen zu machen, da ich unwürdig und töricht bin. Ich warte der Stunde des göttlichen Willens und hoffe auf die Gebete meines verstorbenen Starez.
Obwohl ich also das unablässige, selbsttätige innere Gebet im Herzen noch nicht erlangt habe, danke ich doch Gott, denn ich verstehe jetzt klar, was das Wort bedeutet, das ich in der Epistel hörte: Betet ohne Unterlass.

(nach: Emmanuel Jungclaussen, Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, 1974)

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