Evagrius Pontikos – aus seinen Briefen, 4
(1) Brief an Melania -3-
Wenn doch auch wir bloß über unsere Schmerzen nachsännen, indem wir den
Herrn segnen und langmütig mit den uns Dienenden sind, dieweil wir den
nützlichen Erörterungen über die Kontemplationen lauschen! Dies nämlich sind
die Gesetze der so Versuchten*. Wenn jedoch jene, die uns versuchen, (uns)
dadurch versuchen, daß sie uns ergreifen und von höherem Sinnen herabziehen,
wir aber die Gespräche mit herumvagabundierenden Männern und mit Frauen
vermehren, dann verdoppeln wir (selbst) die Schläge unserer Feinde.
Erinnere dich daran, daß der Böse auch die Freunde Hiobs, als sie den
Bedrängten durch das Beschauen der Sinngehalte** der Vorsehung Gottes trösten
wollten, antrieb und täuschte, den Seligen zum Zorn hinzureißen, da der
Verruchte weiß, daß ein Schmerzleidender leicht in Zorn gerät.
* Gemeint sind die Kontemplationen von Gericht und
Vorsehung Gottes, die uns die Erkenntnis über die Herkunft des Bösen,
unser Schicksal und unsere Zukunft verleihen. Hiob segnete Gott und meditierte
über den Sinn seines Leidens. Vgl. Ep 58,4 (mit Anm. 10). — Evagrios hat
Scholien zu Hiob hinterlassen, vgl. BALTHASAR, Hiera, S. 204 f., die
noch der Edition harren.
** Zur Bedeutung dieses Begriffes vgl. Einleitung S.
117; 120; 132. Hi 19, 16.
(aus: Evagrios Pontikos, Briefe aus der Wüste, 64 Briefe des großen
Kirchenvaters mit wissenschaftlicher Einführung, Eingeleitet, übersetzt und
kommentiert von Gabriel Bunge, Paulinus-Verlag Trier 1986)
Labels: Evagrios Pontikos
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