Evagrius Pontikos – aus seinen Briefen, 16
(4) Brief an Abba Lukios -5-
Es besteht daher für jeden, der in diesem
Kriegshandwerk dient, die Notwendigkeit, von unserem Herrn die Gabe der
Unterscheidung zu erbitten, während ihm (natürlich) nichts von den Dingen
fehlt, die zum Empfang dieser Gabe nötig sind. Dies sind, summarisch,
Enthaltsamkeit, Demut, Wachen, Entfernung von der Welt (Anachorese),
Beständigkeit des Gebetes, die durch das Lesen der göttlichen Schriften
gestärkt wird. Nichts nämlich bewirkt so wie das Lesen der göttlichen Schriften
die Reinheit des Gebetes. Der Tugendwandel nämlich schneidet die Leidenschaften
ab, als da sind Begierde und Trauer und Zorn. Das Lesen aber rodet nach dem
Tugendwandel (auch noch) das geringfügige weltliche Sinnen aus uns aus und
weiht unseren Intellekt in die gestaltlosen Einsichten des Wesens der
göttlichen Erkenntnis ein9, die unser Herr in seinem Evangelium
allegorisch eine „Kammer” nennt10, in der wir den heiligen und
verborgenen Vater schauen werden.
9 Vgl. in Ps 129, 8 [R 8]: Die Praktike entfernt
nur die leidenschaftlichen Gedanken; von den Gedankensünden und schließlich den
Gedanken überhaupt wird der Intellekt erst befreit, wenn er zur Erkenntnis
(yvibat) gelangt ist.
10 Mt 6, 6.
(aus: Evagrios
Pontikos, Briefe aus der Wüste, 64 Briefe des großen Kirchenvaters mit
wissenschaftlicher Einführung, Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von
Gabriel Bunge, Paulinus-Verlag Trier 1986)
Labels: Evagrios Pontikos
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