Einfalt - Warum der Mensch altert
Vater
- fragte Felix den Eremiten -,
warum altern einige Menschen früher als andere?
Der
Eremit antwortete:
Ein
Mann hatte zwei Esel. Dem einen lud er große Lasten auf und zwang ihn, schnell
zu traben. Den anderen belud er kaum und ließ ihn langsam schreiten. So alterte
der erste schneller.
Zudem,
mein Sohn, möchte ich dir erklären, warum ein Christ früher alt wird als ein
Sarazene. Es liegt an der unterschiedlichen Ernährungsweise: Ein Sarazene isst mehr
Süßigkeiten als ein Christ, und im Konfekt ist Wärme und Feuchtigkeit
enthalten. Auch trinkt der Sarazene Wasser und nicht Wein, das ist entscheidend
für den Feuchtigkeitsgehalt seines Körpers. Der Wein dagegen, den der Christ zu
sich nimmt, ist nicht nur warm, sondern auch trocken, und seine große Wärme
verzehrt die Feuchtigkeit im Körper.
Vater
- sagte Felix -,
wie
kommt es, dass die Sarazenen im Alter klüger werden, während man bei den Christen
das Gegenteil feststellen muss?
Da
antwortete der Eremit:
Die
Dämpfe des Weins und der übermäßige Fleischgenuss schaden beim Christen dem
Gehirn, das doch Grundlage seiner Denkprozesse ist. Der Sarazene meidet solchen
Schaden. Wasser ist nass und kalt und temperiert so das Gehirn, zu dem die
Dämpfe durch Wärme aufsteigen, durch Kälte aber wieder sinken, denn sie sind
leicht als Dampf, doch schwer, wenn kühl. So wird dank der Lebensweise des
Subjekts, in dem diese Zirkulation stattfindet, das Gehirn kühl und feucht
gehalten. Es empfängt nur Dämpfe, die seiner Eigenart entsprechen.
Auch
musst du wissen, dass sich der Körper besser jung erhält in weiter als in enger
Kleidung. In weiter Kleidung gelangt Luft an die Oberfläche der Haut, so dass
sie atmen und Wärme abgeben kann, was auch dem Stoffwechsel zugutekommt. Denn
die Poren ziehen sich zusammen in kühler Luft, so wird die Wärme des Körpers
gespeichert. Solche guten Bedingungen halten den jungen Menschen jung und verlängern
das Leben des alten.
Während
dieser Worte des Eremiten kam der magere alte Esel vorbei, der ihm seit Jahren
diente, mit krummem Rücken vom Tragen vieler Lasten.
Als Felix den Esel sah,
weinte er und sagte:
Selig
sind, die ihr Leben mit schwerer Arbeit im Dienste Gottes verbringen, und die
für ihn den Tod nicht fürchten!
Mein
Gott und Herr, der du mein Herz geschaffen hast, lass es erblühen in der
Bereitschaft, Lasten zu tragen, damit es mit Leidenschaft ein Leben lang den Menschen
deine Herrlichkeit verkünde.
Bei
diesen Worten kamen auch dem Eremiten die Tränen, er pries und lobte Gott, weil
er Felix zu einem so frommen Menschen gemacht hatte.
(Ramon
Llull, Die Kunst sich in Gott zu verlieben, Herder 1985, Textübertragung Erika
Lorenz, 106f)
Labels: Ramon Llull
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