Dienstag, 17. Juli 2012

Einfalt - Warum der Mensch altert


Vater - fragte Felix den Eremiten -, 
warum altern einige Menschen früher als andere?

Der Eremit antwortete:
Ein Mann hatte zwei Esel. Dem einen lud er große Lasten auf und zwang ihn, schnell zu traben. Den anderen belud er kaum und ließ ihn langsam schreiten. So alterte der erste schneller. 

Zudem, mein Sohn, möchte ich dir erklären, warum ein Christ früher alt wird als ein Sarazene. Es liegt an der unterschiedlichen Ernährungsweise: Ein Sarazene isst mehr Süßigkeiten als ein Christ, und im Konfekt ist Wärme und Feuchtigkeit enthalten. Auch trinkt der Sarazene Wasser und nicht Wein, das ist entscheidend für den Feuchtigkeitsgehalt seines Körpers. Der Wein dagegen, den der Christ zu sich nimmt, ist nicht nur warm, sondern auch trocken, und seine große Wärme verzehrt die Feuchtigkeit im Körper.

Vater - sagte Felix -,
wie kommt es, dass die Sarazenen im Alter klüger werden, während man bei den Christen das Gegenteil feststellen muss? 

Da antwortete der Eremit:
Die Dämpfe des Weins und der übermäßige Fleischgenuss schaden beim Christen dem Gehirn, das doch Grundlage seiner Denkprozesse ist. Der Sarazene meidet solchen Schaden. Wasser ist nass und kalt und temperiert so das Gehirn, zu dem die Dämpfe durch Wärme aufsteigen, durch Kälte aber wieder sinken, denn sie sind leicht als Dampf, doch schwer, wenn kühl. So wird dank der Lebensweise des Subjekts, in dem diese Zirkulation stattfindet, das Gehirn kühl und feucht gehalten. Es empfängt nur Dämpfe, die seiner Eigenart entsprechen.

Auch musst du wissen, dass sich der Körper besser jung erhält in weiter als in enger Kleidung. In weiter Kleidung gelangt Luft an die Oberfläche der Haut, so dass sie atmen und Wärme abgeben kann, was auch dem Stoffwechsel zugutekommt. Denn die Poren ziehen sich zusammen in kühler Luft, so wird die Wärme des Körpers gespeichert. Solche guten Bedingungen halten den jungen Menschen jung und verlängern das Leben des alten.

Während dieser Worte des Eremiten kam der magere alte Esel vorbei, der ihm seit Jahren diente, mit krummem Rücken vom Tragen vieler Lasten. 
Als Felix den Esel sah, weinte er und sagte:
Selig sind, die ihr Leben mit schwerer Arbeit im Dienste Gottes verbringen, und die für ihn den Tod nicht fürchten!
Mein Gott und Herr, der du mein Herz geschaffen hast, lass es erblühen in der Bereitschaft, Lasten zu tragen, damit es mit Leidenschaft ein Leben lang den Menschen deine Herrlichkeit verkünde.  

Bei diesen Worten kamen auch dem Eremiten die Tränen, er pries und lobte Gott, weil er Felix zu einem so frommen Menschen gemacht hatte.

(Ramon Llull, Die Kunst sich in Gott zu verlieben, Herder 1985, Textübertragung Erika Lorenz, 106f)

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