Dienstag, 13. März 2012

Ja, keusch – aber nicht sofort, 3 von 3


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Drittens missverstehen viele Menschen, was die Psychologie über "Verdrängung" lehrt. Sie lehrt uns, dass "verdrängte" Sexualität gefährlich ist. Aber "verdrängt" ist hier ein Fachausdruck; er bedeutet nicht "unterdrückt" im Sinne von "verneint" oder abgewiesen". Unter einem verdrängten Wunsch oder Gedanken versteht man etwas, das - meist in sehr früher Jugend – ins Unterbewusste abgedrängt wurde und das jetzt nur in verschleierter, unkenntlicher Form vor das Bewusstsein tritt. Verdrängte Sexualität zeigt sich dem Patienten gar nicht als solche. Wenn ein Jugendlicher oder ein Erwachsener sich bemüht, einem bewussten Verlangen zu widerstehen, so hat das mit Verdrängung nichts zu tun. Im Gegenteil: Wer ernstlich um Keuschheit ringt, handelt viel bewusster und weiß um sein eigenes Triebleben besser Bescheid als jeder andere. Er weiß Bescheid um sich und sein Verlangen wie Wellington um Napoleon oder Sherlock Holmes um die Verbrecherseele, wie ein Rattenfänger um Ratten und ein Klempner um schadhafte Rohre.Tugend, auch wenn sie nur angestrebt wird, bringt Licht; die Befriedigung aller Wünsche bringt Nebel.

Schließlich möchte ich noch einmal betonen, dass die Frage der Sexualität, auch wenn ich hier so ausführlich auf sie eingehen musste, nicht der Kernpunkt der christlichen Moral ist. Wer glaubt, für Christen sei die Unkeuschheit das größte aller Laster, der irrt sich. Die Sünden des Fleisches sind schlimm, aber sie sind nicht die schlimmsten.

Die schlimmsten Lüste sind alle rein geistiger Art; die Lust daran, andere ins Unrecht zu setzen, herumzukommandieren und andere von oben herab zu behandeln, anderen den Spaß zu verderben oder sie zu verleumden, sich an der Macht zu berauschen und Hassorgien zu feiern. Denn zwei Mächte im Menschen versuchen, ihn von seiner eigentlichen Bestimmung abzuhalten: das Animalische und das Teuflische. Das Teuflische ist das Schlimmere von beiden. Deshalb kann ein kalter, selbstgerechter Heuchler, der regelmäßig zur Kirche geht, der Hölle näher sein als eine Hure. Aber besser ist es natürlich, man ist keines von beidem.

(Komma, Nr.89-90, 2012, 120ff.)

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2 Kommentare:

Am/um 13. März 2012 um 05:58 , Blogger Roger Michael meinte...

Vergelts Gott für diese Textreihe! Schade nur, dass wir Katholiken dies nicht mehr annehmen wollen und schon lange dem Nachgeben jeglicher Gelüste verfallen sind. Ja wir sind ja gar soweit zu behaupten, wer diesen Trieben nicht nachgibt, bei dem kommt es irgendwann zur Explosion.

Mögen viele diese Gedanken entdecken und sich auf den Weg machen um sich von den Fesseln des Müssens und des "Krankwerdens wenn ich nicht kann" zu befreien.

 
Am/um 15. März 2012 um 23:32 , Blogger Frischer Wind meinte...

Danke auch für die Klarstellung, dass die Sünden des Geistes noch weitaus schlimmer sind als die des Fleisches.
Das ist gerade deswegen wesentlich, weil die geistigen Sünden völlig ignoriert, totgeschwiegen oder garnicht als Sünde wahrgenommen werden. Hier besteht dringender Korrekturbedarf...

Die Unterscheidung von "animalisch" und "teuflisch" war mir so noch nicht bewusst, aber so ist es.
Danke.

 

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