Ja, keusch – aber nicht sofort, 2 von 3
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Zweitens werden viele davon
abgehalten, sich ernsthaft um christliche Keuschheit zu bemühen, weil sie sie
von vornherein für unerreichbar halten. Aber wenn man etwas erreichen will,
darf man nicht überlegen, ob es möglich oder unmöglich ist. Bei einer
Zusatzfrage im Examen kann man überlegen, ob man sie beantworten will oder
nicht. Eine obligatorische Frage aber muss man beantworten, so gut man eben
kann. Selbst eine unzulängliche Antwort wird dann immer höher bewertet als überhaupt
keine. Nicht nur im Examen, auch im Krieg, beim Bergsteigen oder wenn man
Schlittschuhlaufen, Schwimmen oder Radfahren lernt, ja sogar, wenn wir mit klammen
Fingern einen Kragenknopf schließen möchten, vollbringen wir Dinge, die wir
vorher für unmöglich gehalten hätten. Es ist erstaunlich, wozu man fähig ist, wenn
man muss.
Wir
können allerdings sicher sein, dass vollkommene Keuschheit - wie vollkommene Liebe
- durch keine rein menschlichen Anstrengungen zu erreichen ist. Wir müssen Gott
um Hilfe bitten. Und wenn wir das getan haben, kann es uns lange Zeit so
scheinen, als erhielten wir diese Hilfe nicht oder als erhielten wir weniger, als
wir brauchen. Aber das darf uns nicht entmutigen. Es gilt, nach jedem Versagen
um Vergebung zu bitten, sich aufzuraffen und es nochmals zu versuchen. Oft will
Gott uns zunächst nicht zu der Tugend selbst verhelfen, sondern er will uns
diese Kraft geben, nicht aufzugeben.
Denn
so wichtig Keuschheit (oder Tapferkeit, Wahrhaftigkeit und jede Tugend) ist,
dieses stete Neubeginnen übt uns in einer Seelenhaltung, die noch viel
wichtiger ist. Es heilt uns von allen Illusionen, die wir über uns selbst
haben, und lehrt uns, auf Gott zu vertrauen. Wir erkennen einerseits, dass wir
uns nicht einmal in unseren besten Momenten auf uns selbst verlassen können;
andererseits sehen wir, dass wir auch in den schlimmsten Momenten nicht zu
verzweifeln brauchen; denn unser Versagen ist vergeben. Verhängnisvoll wäre es nur,
uns mit der Unvollkommenheit zufrieden zu geben.
Labels: Gebet-Betrachtung-Gedanke
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