Montag, 23. Januar 2012

Erste Erzählung des Pilgers, 7

Der Starez spricht

Der Starez bekreuzigte sich und begann also: „Danke Gott, geliebter Bruder, dass er dir dieses unüberwindliche Verlangen nach der Erkenntnis des unablässigen inneren Gebetes offenbarte. Erkenne hierin die Berufung Gottes und sei stille, nachdem du dich davon überzeugt hast, dass bis zu dieser Stunde eine Prüfung dir auferlegt ward, ob dein Wille auch der Stimme Gottes gehorcht, und da dir gegeben ward, zu verstehen, dass man nicht durch die Weisheit dieser Welt und nicht durch äußeren Wissensdurst das himmlische Licht, das unablässige innere Gebet erlangen kann, sondern im Gegenteil: durch die Armut des Geistes und durch tätige Erfahrung wird es einfältigen Herzens erworben. 

Darum ist es auch gar nicht erstaunlich, dass du von dieser wichtigen Sache des Gebets nichts vernehmen und die Wissenschaft nicht erfahren konntest, wie man dazu gelange, ohne Unterlass in dem Tun desselbigen zu beharren. Und dann, um die Wahrheit zu sagen, obwohl nicht wenig über das Gebet gepredigt wird und es auch viele Lehrmeinungen verschiedener Schriftsteller darüber gibt, so unterweisen diese doch, sofern ihre Erörterungen zumeist auf Verstandeserkenntnis, auf Erwägungen der natürlichen Anschauung, nicht aber der tätigen Erfahrung beruhen, eher über alles, was zum Gebete gehört, als über das Wesen des Gegenstandes selber. So mancher weiß wundervoll über die Notwendigkeit des Gebets zu sprechen; ein anderer wieder über seine Kraft und seine Segnungen; ein dritter über die Mittel, die zu vollkommenem Gebet führen, das heißt darüber, dass es fürs Gebet des Eifers, der Aufmerksamkeit, der Herzenswärme, keuschen Denkens, der Versöhnung mit den Feinden, der Demut, der Zerknirschung und dergleichen bedarf. Aber was ist das Gebet? Und wie lernt man beten? Für diese, obwohl allerwichtigsten Fragen wird man bei den Predigern unserer Zeit sehr selten ausführliche Erklärungen finden können, und zwar deshalb, weil solche Erklärungen schwieriger zu erfassen sind als alle oben hergezählten Erörterungen, auch bedürfen sie eines geheimen geheiligten Wissens, nicht nur einer schulmäßigen Gelehrtheit. Am beklagenswertesten ist aber, dass die eitle, natürliche Klugheit einen nötigt, Gott mit menschlichem Maß zu messen. 

Viele urteilen über das Gebet ganz verkehrt, wenn sie glauben, dass die vorbereitenden Mittel und die frommen Werke das Gebet erzeugen, nicht aber das Gebet diese frommen Werke und alle Tugenden gebiert. In diesem Falle verstehen sie die Früchte oder die Folgen des Gebets nicht richtig als Mittel und Wege zu ihm hin und erniedrigen eben hierdurch des Gebetes Kraft. Und dieses läuft der Heiligen Schrift ganz zuwider: denn der Apostel Paulus unterweist im Gebet mit folgenden Worten:

(nach: Emmanuel Jungclaussen, Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, 1974)

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