Donnerstag, 19. Januar 2012

Erste Erzählung des Pilgers, 4

Wegzehrung

Nachdem er dies gesagt, ließ er mir Essen bringen, gab mir eine Wegzehrung und entließ mich. So hatte er es mir denn nicht gedeutet.


Da ging ich denn wieder meines Weges; ich dachte und dachte, las und las, grübelte und überlegte, was mir der Herr gesagt hatte, und konnte es doch nicht verstehen; ich wollte es aber sehr verstehen, so sehr, dass ich in den Nächten keinen Schlaf fand. An zweihundert Werst mochte ich so gepilgert sein und kam dann in eine große Gouvernementsstadt. Ich sah dort ein Kloster. Ich machte in einer Herberge halt und erfuhr, dass der Abt dieses Klosters sehr gütig, fromm, gastfreundlich sei und Pilger bei sich aufnähme. Ich ging zu ihm; er nahm mich freundlich auf, hieß mich Platz nehmen und wollte mich speisen.


„Heiliger Vater”, sagte ich, „Eure Bewirtung ist mir nicht vonnöten. Ich wünschte aber, dass Ihr mir eine geistliche Unterweisung erteilt, wie ich meine Seele retten soll.”


„Wie du deine Seele retten sollst? Handle nach den Geboten und bete zu Gott, dann wirst du auch gerettet werden.”


„Ich höre, dass man ohne Unterlass beten soll, weiß aber nicht, wie man ohne Unterlass betet, und kann es gar nicht mal fassen, was es bedeutet, ohne Unterlass zu beten. Ich bitte Euch, mein Vater, erklärt mir das.”


„Ich weiß nicht, lieber Freund, wie ich es dir noch erklären sollte. Doch halt, ich habe hier ein Buch, da ist es erklärt.” Und er brachte mir des heiligen Dimitrij „Geistliche Unterweisung des inneren Menschen”. „Lies mal hier auf dieser Seite.”



(nach: Emmanuel Jungclaussen, Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, 1974)

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