Erste Erzählung des Pilgers, 6
Der Weg zu den Starzen
Ich wollte aus irgendeinem Grunde nicht dorthin und antwortete also auf seine Einladung: „Meine Ruhe hängt nicht von der Herberge ab, sondern von einer geistlichen Belehrung; auch auf Nahrung bin ich nicht bedacht, denn ich habe in meinem Beutel noch viel Hartbrot.”
„Und was ist es denn für eine Belehrung, die du suchst? Was ist es, was du nicht verstehen kannst? Komm nur, komm, lieber Bruder, zu uns; wir haben erfahrene Starzen, die können dich wohl geistig speisen und dir den rechten Weg zeigen im Lichte des Wortes Gottes und der Unterweisungen der heiligen Väter.”
„Ja, seht, Vater, es mag ein Jahr her sein, dass ich in der Messe bei der Epistelverlesung das Gebot hörte: Betet ohne Unterlass. Da ich dies nicht verstehen konnte, begann ich in der Bibel zu lesen. Und auch dort fand ich an vielen Stellen das Gebot Gottes, man soll ohne Unterlass beten, immer, zu jeder Zeit, an jedem Ort, nicht nur bei jeglicher Beschäftigung, nicht nur im Wachen, sondern sogar im Schlaf. ,Ich schlafe, aber mein Herze wacht' (Hld 5, 2).
Dies setzte mich sehr in Erstaunen, und ich konnte nicht verstehen, wie man dieses erfüllen kann und welche Wege dahin führen; ein lebhaftes Wünschen und Neugierde wurden in mir wach; Tag und Nacht kam mir dies nicht aus dem Sinn. Darum bin ich hier in verschiedene Kirchen gegangen und habe Predigten über das Gebet gehört; aber so viele Predigten ich auch gehört habe, fand ich doch in keiner eine Belehrung, wie man ohne Unterlass beten müsse; immer war nur die Rede von der Vorbereitung zum Gebet oder von den Früchten des Gebets und dergleichen, es war da aber keine Unterweisung, wie man ohne Unterlass beten soll und was ein solches Gebet zu bedeuten habe.
Ich habe oft in der Bibel gelesen und an ihr das Gehörte nachgeprüft; ich habe aber dabei nicht die gewünschte Erkenntnis gefunden. So bin ich denn bis hiero in Unwissenheit und Unruhe verblieben.”
(nach: Emmanuel Jungclaussen, Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, 1974)
Labels: Jesusgebet, Philokalie, Väter
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