Mittwoch, 12. Januar 2011

Heute Heilig?


Papst Johannes Paul II. und die Heiligkeit

Sobald Papst Johannes Paul II. gestorben war, riefen viele Verehrer: santo subito. Sie meinten damit, dass er schnell Selig- und Heiliggesprochen werden soll. Natürlich wissen wir, dass so etwas in unserer Kirche ein wenig dauern kann. Und dennoch gab es ständig Spekulationen darüber. Zuletzt wartete man nur noch auf ein entsprechendes Wunder, das dem vorherigen Heiligen Vater zugesprochen werden kann. Vor wenigen Tagen war es soweit. Die Medien meldeten, das Wunder, eine Heilung, sei geschehen. Die Seligsprechung könne noch in diesem Jahr erfolgen.

Das Wunder, eine Heilung, dann die Heiligsprechung?  Ist die Heiligkeit eines Menschen abhängig von einer Wunderheilung? Belassen wir es bei der Feststellung, dass es in den ersten Jahrhundert Heiligsprechungen im kanonischen Sinne noch nicht gab, sondern erst ab dem 10. Jahrhundert.

Was also macht Heiligkeit aus? Wer ist ein Heiliger? In der frühen Kirche waren es sicher die Märtyrer, die als Heilige als Fürsprecher angerufen wurden. Ihre Reliquien wurden verehrt, in Kirchen und Altären beigesetzt.

Heute leben wir in einer Zeit, in der ein weitverbreiteter Personenkult herrscht. Es wimmelt nur so von Vorbilder: Musikstars, Filmsternchen, Sportassen usw., sie alle werden wie Heilige verehrt. Dabei wird nicht immer versucht ihnen oder ihre Leistung nachzuahmen. Autogramme zu bekommen ist noch das Wenigste. Man möchte sie berühren, bei ihnen sein, ihnen nahe kommen.

Heilig. Dieses Wort wird wie viele andere Begriffe aus der christlichen Sphäre säkular verwendet. Denken wir an den Fußballgott, den himmlischen Geschmack oder an den Schutzengel der Kranken- oder Lebensversicherung. Man kann sich auch fragen, was es auf sich hat, wenn Menschen die Religion verballhornen, beleidigen, an den Pranger stellen und sich an Karneval mit dem Papstkostüm oder einer Schwesterntracht verkleiden.

Zurück zum „alten“ Papst. Ich habe ihn nicht persönlich kennengelernt. Wenn ich ihn verehre, dann nicht wegen einer Heilung, die nach seinem Tode erfolgt ist. Es ist eher sein Leben und vor allem sein Sterben, welches Heiligkeit ausgestrahlt hat. Oder, wenn mir Menschen erzählen, dass sie wegen ihm, wegen seinem Zeugnis, das er gegeben hat, wieder zum Glauben gefunden haben. Das zeigt mir, dass da mehr sein muss als profane Begegnung. Da ist Heiligkeit im Spiel. Und dann können wir vielleicht auch ahnen: Heilig sein ist möglich, auch wenn wir Sünder bleiben.

Martin Mosebach geht in seinem Essay „Was ist katholische Literatur“ der Frage nach dem Heiligen, der Heiligkeit nach. Daraus zitiere ich einige Sätze (Hervorhebungen von mir):

„…heilig kann der Mensch mit seiner gefallenen, erbsündlich geschädigten Natur nicht werden, einerseits – andererseits kann er aber irgendwie doch – man verzeihe mir die saloppe Formulierung, die ganz bewusst die argumentativen Brücken zwischen diesen beiden Polen vermeidet. 

Der Heilige  ist eine Evidenz – es gibt ihn, obwohl es ihn eigentlich gar nicht geben kann. Er ist die Wirklichkeit, und die Kunst ist dazu da, Wirklichkeit zu spiegeln, Wirklichkeitsgefühl zu erzeugen, die Augen für Wirklichkeit zu öffnen. Für die Wirklichkeit des Heiligen gibt es eine Kunstform, die ihrem Wesen vollendet gerecht wird: die Ikone. Die Größe des heiligen ist von der Größe einer sogenannten welthistorischen Gestalt wesentlich unterschieden, auch wenn es eine Reihe von Heiligen gibt, die erheblichen Einfluss auf die Weltgeschichte ausgeübt haben, man denke nur an die Ordensgründer Benedikt, Franziskus und Ignatius. 

Profane welthistorische Größe besteht neben der Wirkung, die sie hinterlässt, in der Persönlichkeit. Heiligkeit ist aber auch ohne irgendeine weltliche Wirkung vorstellbar und besteht nicht in der Ausformung der Persönlichkeit, sondern genau genommen in ihrer Auslöschung. Was an Individualität und eigentümlichem Charakter beim Heiligen nach einem Erdenwandel übriggeblieben ist, gehört zum unwichtigsten Teil seiner Person. Was an ihm heilig ist, ist gleichsam ausgeglüht und nicht mehr ganz von dieser Welt.
(Martin Mosebach: Schöne Literatur, dtv 2009, 114f)

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