Freitag, 3. Februar 2012

Erster Erzählung des Pilgers,16

Täglich sechstausend mal

Die ganze Woche durch verrichtete ich in meiner einsamen Schutzhütte alltäglich sechstausend Jesusgebete, bekümmerte mich um nichts sonst, achtete auch nicht der fremden Gedanken, wie sehr sie auch auf mich einstürmten; nur darauf war ich bedacht, das Gebot des Starez genau einzuhalten. Und was geschah? Ich gewöhnte mich so sehr an das Gebet, dass ich, wofern ich auch nur für kurze Zeit unterließ, es zu verrichten, alsbald fühlte, dass mir irgendetwas fehlte, als habe ich irgendwas verloren; dann begann ich wieder zu beten, und sogleich, im selben Augenblick, wurde mir leicht und freudig ums Herz. Wenn ich jemanden traf, so hatte ich schon keine Lust mehr, mit ihm zu sprechen, und hatte nur das Verlangen, immer in der Einsamkeit zu sein und das Gebet zu sprechen; so sehr hatte ich mich daran in der einen Woche gewöhnt.

Da der Starez mich wohl zehn Tage lang nicht bei sich gesehen hatte, kam er selber, mich aufzusuchen; ich offenbarte ihm meinen Zustand. Nachdem er mich angehört hatte, sagte er:
„Nun hast du dich an das Gebet gewöhnt; sieh zu, dass du diese Gewohnheit wach erhältst und mehrest; verlier deine Zeit nicht müßig, und entschließe dich mit Gottes Hilfe, von nun ab zwölftausend Gebete am Tage zu verrichten: erhalte dich in der Einsamkeit; stehe möglichst früh auf und geh möglichst spät schlafen; und komm zu mir, um dir Rat zu holen immer nach zwei Wochen.”

(nach: Emmanuel Jungclaussen, Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, 1974)

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