Montag, 16. April 2012

Das Abba-Prinzip


In der aktuellen Ausgabe des „komma-magazin“ beschreibt Dr. Alexander Pschera, der als Vater von drei Kindern auch erfolgreich im Berufsleben steht, jenes fatale Vater-Bild, wie ihn der „Zeitgeist“ vorgibt und dem allzu gerne nachgeeifert wird. Er stellt dagegen seine eigene  Auffassung vom Vater-Sein. Dabei macht er deutlich, dass zwar Autorität notwendig ist, diese aber nicht darin besteht, etwa den „preußischen Vater“ wieder zu beleben. Wichtig ist es, als Vater anwesend zu sein in einem für alle verlässlichen Familienleben. Hier entsteht eine natürliche Autorität, die (weil aus der Liebe entstehend  - nämlich „vorbehaltlos auf die Ebene der Kinder“ seiend; auch Entscheidungen treffend), wahrgenommen und akzeptiert wird. Die Entsprechung für unser Handeln finden wir in den Gebeten Jesu; für diesen Hinweis bin ich Dr. Alexander Pschera besonders dankbar.

Hier einige Auszüge.
(Hervorhebungen von mir)


[…] Die Gestalt des Vaters muss scheinbar auf dem Wege des Denkens rekonstruiert werden. Der Vater - und wahrscheinlich auch die Mutter - hat sich aufgelöst in eine psychologische, soziologische oder politische Größe. Hier wird dann definiert, abstrahiert und konstruiert, was das Zeug hält. Man versucht, den Vater neu zu erfinden, neu zu begründen und neu zu legitimieren. […] Was haben die ein, zwei oder drei Kinder davon, dass der Vater sich so angestrengte Gedanken über sich selbst macht? Wird das irgendwo fruchtbar?

[…]  Ein Vater, der schon vor der Geburt alle Hände voll damit zu tun hat, als Vater vor sein inneres Auge zu treten, verheißt wenig Gutes. […]

Tatsächlich ist dieses grundsätzliche, rollenbezogene Nachdenken des Vaters über sein „Vatersein“ bereits der erste Schritt in eine Richtung, die fatale Folgen hat. Das kann man langwierig erläutern, aber auch an einem einfachen Beispiel illustrieren. Jeder kennt die Bildergeschichten von E. O. Plauen, die unter dem schlichten Titel "Vater und Sohn" berühmt geworden sind. Sie erzählen Alltagsanekdoten, in denen ein Vater und sein Sohn gemeinsam durch dick und dünn gehen: gemeinsam gegen den Rest der Welt, könnte man sagen. Manchmal weiß man gar nicht so recht, wer von beiden eigentlich der größere Kindskopf ist. Trotzdem sind dies vor allem Geschichten eines fundamental geordneten und geerdeten Verhältnisses von zwei Komplizen. Am Ende ist immer klar, wer das letzte Wort spricht, das heißt: wer die Verantwortung trägt. Das kann auch bedeuten, die Ärmel hochzukrempeln und sich selbst in den Kampf zu werfen. Wenn der Vater mit seinem Sohn loszieht, dann macht er alles, nur eines nicht, nämlich Gedanken über seine Work-Life-Balance oder seine soziale Rolle. Vielmehr zieht er einfach los. Er ist Vater in jenem unmittelbaren Sinn, wie sein Kind Kind ist. Basta.

Diese Gestalt des Vaters kommt gar nicht mehr zur Ansicht hinter jenem Vatersein, das heutzutage auf der Agenda allzu vieler Diskussionen steht. Darin wird, auch unter dem Druck einer völlig abwegigen Gender-Diskussion, bloß an einer Neuerfindung der Rolle des Vaters geschraubt - freilich ohne die geringste Aussicht auf Erfolg. Denn aus lauter Verzweiflung fangen die solcherart dekonstruierten und zur Neukonstruktion gezwungenen Väter dann nämlich an, sich ihr Verhalten bei den Müttern abzuschauen - frei nach dem Motto: "Die müssen es ja schließlich wissen."

Wenn man den Vätern nur lange genug einredet, alles, was sie "aus dem Bauch heraus" als Vater tun, sei falsch, abwegig, missraten und patriarchalisch, dann bleibt ihnen doch auch wahrlich nichts anderes übrig als jene Flucht zu den Müttern, das heißt in die Wickelgruppe oder ins Babyschwimmen. Und wenn sie sich dort nicht wohlfühlen, bietet man ihnen eben einen Kurs zur Rollenfindung an. Hinreichend butterweich geklopft, nehmen sie dann dankend und mit Kusshand die Ratschläge an, die ihnen dort erteilt werden.

[…] Das Plädoyer lautet, den Vater in seiner Ursprünglichkeit wieder zu entdecken. Und das heißt für die Väter: Weniger zu denken, mehr zu sein. Und die Luken, durch die Gender-Dämpfe einströmen, dichtzumachen. Sich als Vater natürlich verhalten, heißt natürliche Autorität ausüben. Die hat immer Ecken und Kanten. Sie sind Zeichen von Authentizität. "Den Vater" nach Plan gibt es ohnehin nicht. Es gibt immer nur je unterschiedliche Väter, die sich nicht abschleifen lassen sollen von den Hobbywerkern des Zeitgeistes.

Es geht natürlich nicht darum, den Übervater der Wilhelminischen Epoche wiederzubeleben - den Urtyp des deutschen Vaters, mit Schnauzbart, steifem Kragen und Zigarre, den die Kinder siezten. Den sie kaum kannten, weil er immer auf Distanz war. Der preußische Vater besaß eine Autorität, die Distanz schuf und nichts mehr.

Natürliche Autorität erzeugt demgegenüber Nähe. Sie lässt zu, dass die Kinder Vertrauen entwickeln, ohne in Angst und Ehrfurcht zu erstarren. Eine solche natürliche Autorität lässt sich natürlich nicht wie eine Sportart erlernen. Sie hängt von den Gegebenheiten der jeweiligen Person ab. Der eigenen Persönlichkeit gilt es zu vertrauen, dann wird sich über kurz oder lang natürliche Autorität einstellen.

Der produktive Prüfstand der natürlichen Autorität ist das Spiel. Früher lernten die Söhne (und Töchter) von ihren Vätern noch das Schachspiel. Beim Spiel dialogieren Autorität und Freiheit. Nur wenn Väter mit natürlicher Autorität auftreten, können sie sich auch wieder spielerisch mit ihren Kindern ins Vergnügen stürzen – im Sinne jenes Kindes im Manne E.O.Plauens.

Es gibt in der abendländischen Geschichte eine Kernszene, die das Vertrauen zum Ausdruck bringt, das ein Kind seinem Vater mit zugleich größtem Respekt und aus größter Nähe entgegenbringt. Es sind die Gebete Jesu, in denen er, allein und entfernt von seinen Jüngern, zu seinem Vater betet. Er spricht ihn, so ist es überliefert, mit Papa ("Abba") an. In der aramäischen Sprache, die Christus sprach, bringt "Abba" eine intime, emotionale Beziehung zum Ausdruck. Hier zeigt sich, je mehr man darüber nachdenkt, einer der bewegendsten Momente der christlichen Welt: der Ausdruck der unmittelbaren Gotteskindschaft. Jesus betet in einem ganz ursprünglichen Ton zu seinem Vater, der gleichzeitig die maximal vorstellbare Autorität hat. Von dieser Szene aus muss man freilich auch sehen, welche Bürden Gottvater Christus auferlegt, der sie annimmt und durch sie erst wieder zum Vater gelangt.

Was wir Väter daraus konkret lernen:

Der Vater muss den Weg des Lebens, den er kennt und soweit er ihn kennt, seinen Kindern bereiten. Er muss sie an die Hand nehmen und ihnen Ruhe und Vertrauen einflößen. Begibt er sich vorbehaltlos auf die Ebene der Kinder und hebt die Distanz auf, die Orientierung schafft, hört er auf, Leitfigur zu sein. Seine natürliche Autorität ist die Voraussetzung für einen Raum des Spiels. Den schätzen die Kinder, weil sie spüren, dass er sie über sich selbst hinausführt - vielleicht bis zu ihrer eigenen Elternschaft.


Das „Abba-Prinzip“, Vom Mutieren der Väter zu Müttern und der Mütter zu Vätern
Komma-magazin, Nt. 92, 2012, 38-40.


Dr. Alexander Pschera,
Vater dreier Kinder,
hat in Heidelberg Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft studiert und arbeitet als Partner in der Münchner PR-Agentur Maisberger Whiteoaks.

Labels: , ,

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite